Karl Reinthaler: „Wer nicht mittat, wurde zum Gegner.“

Die “Hitler-Reden” im Radio verschlugen ihm die Sprache und nahmen ihm den Appetit. In der Saalfeldener Bahnhofsrestauration wurde der Lokführer Karl Reinthaler (* 18. September 1913 in Villach; † 1. August 2000 in Saalfelden) dabei beobachtet, wie er bei NS-Propagandareden aus Protest zu Essen aufhörte. Schließlich denunzierte ihn die Wirtin, auch weil er sich wiederholt kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus äußerte.

Ausschlaggebend für seine Verhaftung im Frühjahr 1942 waren jedoch Spenden an die „Rote Hilfe“. Als er einer in Not geratenen Kioskfrau Geld und Lebensmittel zukommen lassen wollte, wurde er abermals denunziert und zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe in Amberg sowie zu Ehrverlust verurteilt.

„Wer nicht mittat, wurde zum Gegner. Also musste ich ein solcher werden.“ Karl Reinthaler

Der Transport nach Amberg erfolgte über die beiden Stationen Regensburg und Straubing. Die Gefangenen wurden in umgebaute Personenwagen gepfercht, die Zeit für den Gang zur Toilette war reglementiert und kaum zu schaffen, die Fenster waren mit Blech verschlagen und nur durch einen Trichter konnte Luft ins Abteil strömen.
Amberg galt als Lager für politische Häftlinge. In den Anfangsjahren des Nationalsozialismus wurde es noch vom Gefängnispersonal aus der Weimarer Republik geführt. Später übernahmen SS- und SA-Männer den Dienst. Ab 1938 wurden in diesem Lager auch ausländische Widerstandskämpfer inhaftiert.

Dann begann der Überlebenskampf. Hunger, Schläge und Schikanen wurden zu täglichen Begleitern. Doch es gab auch rettende Augenblicke, die überraschender nicht hätten sein können. So wurde Karl eines Tages – halb verhungert und am Ende seiner Kräfte – von einer Lagerwache in den Schweinestall gesperrt. Rasch erkannte er, warum dieser das tat: Dort konnte er sich mit frisch gekochten Kartoffeln, die für die Schweine vorgesehen waren, satt essen.

Das Unternehmen Carl Zeiss gehörte im NS-Staat zu den wichtigsten Produzenten von rüstungs- und kriegsrelevanten Optiken und beschäftigte Tausende von ZwangsarbeiterInnen. Auch in Amberg wurden Häftlinge rekrutiert, darunter Karl Reinthaler als Werkzeugmacher. Als er sich beim Schleifen eines Werkstückes eine Augenverletzung zuzog, ermöglichte sein Abteilungsleiter eine ärztliche Behandlung. In der Ordination steckte ihm eine junge Arzthelferin bei jedem Besuch heimlich eine Wurstsemmel zu. Sie ging als “Schutzengel von Amberg” in seine persönliche Lebensgeschichte ein.

“Sollte ich das Zuchthaus überleben, werde ich in weiterer Folge mein Leben der Allgemeinheit widmen.” Karl Reinthaler

Von den Entbehrungen gezeichnet, kehrte Karl Reinthaler kurz nach Kriegsende nach Saalfelden zurück. Am Bahnhof traf er jenen Mann, der ihn Jahre zuvor an die Gestapo verraten hatte. “Karl, wie ist es dir ergangen?”, fragte dieser. Revanche kam ihm aber nie in den Sinn, im Gegenteil. Vielmehr wollte er für die Allgemeinheit Positives bewirken. Bereits in Amberg hatte Karl sich das geschworen. Damals, mehr tot als lebendig. Und er hielt Wort.

So wurde Karl Reinthaler 1945 in den Saalfeldener Gemeindevorstand sowie in den Salzburger Landtag gewählt. Schwerer Rheumatismus zwang ihn jedoch, sein Mandat als Landtagsabgeordneter bereits 1948 wieder zurückzulegen. Es folgten sechzehn Jahre als Fraktionsobmann der SPÖ und acht Jahre als Vizebürgermeister von Saalfelden, in denen er als Rechts- und Schulreferent auf sich aufmerksam machen konnte.

1972 begann sein “dichtester Lebensabschnitt”: Er folgte Adam Pichler als Bürgermeister nach. In seiner Amtszeit verzeichnete Saalfelden grundlegende Veränderungen, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckten. Das Altersheim wurde ausgebaut, Schulen erweitert, ein Rehabilitationszentrum errichtet und der Reinhalteverband gegründet. Doch die mit Freude übernommene Belastung wurde zur Überlastung. Die Ärzte diagnostizierten Dickdarmkrebs und Karl trat nach fünfeinhalbjähriger Amtszeit als Bürgermeister zurück. Wieder musste er um sein Leben kämpfen, wieder gewann er.

In der Bevölkerung war der Politiker Reinthaler außerordentlich beliebt, zumal er die alltäglichen Anliegen nie aus den Augen verlor. Er, dem selbst großes Unrecht widerfahren war, wägte aufgrund seiner Lebensgeschichte jede noch so kleine Handlung sorgfältig ab. Diese feinfühlige und vorsichtige Art machte ihn zu einem überaus beliebten Gemeindeoberhaupt.

Viele Jahre lang engagierte sich Karl Reinthaler auch als Zeitzeuge, am liebsten sprach er dabei mit Jugendlichen. Während solcher Diskussionen spürte er, „dass die Jugend sehr wach ist für diese Fragen”. Das gab ihm Hoffnung.

Ein tragischer Unfall beendete am 1. August 2000 sein Leben abrupt. Drei Tage später wurde der Saalfeldener Ehrenbürger unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt. Am 14. Februar 2002 setzte man ihm ein erstes Andenken: Die SPÖ Saalfelden kaufte jenes Gewerkschaftsheim, an dessen Gründung Karl Reinthaler maßgeblich beteiligt war und benannte es nach ihm, „dem Pionier der ArbeiterInnenbewegung in Saalfelden“.

Menschlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft – diese drei Eigenschaften waren es, die Karl Reinthaler zeit seines Lebens prägten. Dass er für diese positive Einstellung verurteilt und bestraft wurde, zeigt den menschenverachtenden Mechanismus des NS-Regimes in aller Deutlichkeit. Aber Karl Reinthaler hielt dagegen – nicht nur in jener unseligen Zeit.

Weitere Informationen über Karl Reinthaler findet man hier.

Text: Alexander Neunherz
Bild: Pixabay