Der Obersalzberg: Ein Lernort zwischen geschichtlichem Anspruch und Brettljaus‘n

Der Grat zwischen verantwortungsbewusster Erinnerungskultur und touristischer Nutzung ist am Obersalzberg ein schmaler. Die dortige Gedenkarbeit des Münchner Instituts für Zeitgeschichte kann daher gar nicht hoch genug geschätzt werden. Das anhaltende Interesse der Bevölkerung ist zweifelsohne der gelungenen Dauerausstellung geschuldet, die sich seit ihrer Eröffnung im Jahr 1999 einen Namen gemacht hat.

Abseits der Ausstellung bleibt jedoch wenig Platz für historische Details – vor allem rund um das Kehlsteinhaus. Die Aussichtsterrasse verspricht launige Biergarten-Atmosphäre und deftiges Essen. Vor dem Kamin im Hauptraum – mit der Jahreszahl 1938 versehen – zücken TouristInnen zielsicher ihre Kameras. Auch die Kuppelhalle oder der mit polierten Messingplatten verkleidete Aufzug sind beliebte Fotomotive. Historische Erläuterungen sind hingegen nur spärlich vorhanden, was manche BesucherInnen zu eigenen geschichtlichen Interpretationen anregt.

Doch es gibt einen Lichtblick: Der Freistaat Bayern hat sich dazu entschlossen, die Dokumentation zu erweitern. Bewusst soll so ein Zeichen gegen das Vergessen und Verdrängen gesetzt und die nationalsozialistische Herrschaft am Obersalzberg stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Hitler verbrachte dort ab 1923 seine Urlaube und erwarb zehn Jahre später das Haus „Wachenfeld“. Nach der Machtübertragung wurde sein Wohnsitz kontinuierlich ausgebaut und der Obersalzberg zum Führersperrgebiet erklärt. Der Diktator sollte knapp ein Drittel seiner Herrschaft dort verbringen und nutzte die weiträumige Anlage als zweiten Regierungssitz. Die nationalsozialistische Propaganda wusste die beeindruckende Bergkulisse medienwirksam für Hitler zu inszenieren und zeigte ihn als Naturfreund und guten Nachbarn. Die Realität sah freilich anders aus: Für die einheimische Bevölkerung war dort kein Platz mehr, sie wurde schonungslos vertrieben.

Das Kehlsteinhaus wiederum wurde 1938 fertiggestellt und ist mit seinem 124 Meter hohen Aufzug bis heute Ausdruck des nationalsozialistischen Bauwahns. Martin Bormanns Geschenk zu Hitlers 50. Geburtstag wurde von diesem jedoch kaum genutzt, da der Diktator alliierte Bombenangriffe fürchtete.

Nach Kriegsende war ein einfaches Anknüpfen an die Zeit vor 1933 nicht mehr möglich. Verdrängung und Vermarktung der braunen Vergangenheit standen von Beginn an in einem intensiven Spannungsverhältnis. Der Obersalzberg als Lern- und Erinnerungsort kam daher spät. Aber nicht zu spät. Denn der Ausbau der Dauerausstellung ist vor allem dem großen Interesse geschuldet. Jährlich besuchen bis zu 170.000 Interessierte die Dokumentation. Ein gutes Zeichen abseits von Tourismus und Brettljaus‘n.

Text: Alexander Neunherz
Bild: Privat