Von der Ausgrenzung zum Völkermord: Der 31. Juli 1941

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, lebten eine halbe Million Juden im Deutschen Reich. Sie stellten weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung dar. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde der Antisemitismus allgegenwärtig: Die jüdische Minderheit wurde diskreditiert, diffamiert und diskriminiert – erste Boykottaktionen wurden bereits im Frühjahr 1933 durchgeführt.

Am „Reichsparteitag der Freiheit“ im Jahr 1935 kanalisierten die Nazis den Terror. Die „Nürnberger Gesetze“ sollten das Verhältnis zwischen „ArierInnen“ und „NichtarierInnen“ gesetzlich regeln. Mit dem „Reichsbürgergesetz“ wurden jüdische Menschen zu BürgerInnen zweiter Klasse degradiert. Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verbot „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde fortan als „Rassenschande“ unter Strafe gestellt.

Der nationalsozialistische Rassenwahn brachte immer neue gesetzliche Schikanen hervor, wie der Historiker Wolfgang Benz dokumentierte:

„Ab März 1936 gab es für kinderreiche jüdische Familien keine Beihilfe mehr, im Oktober 1936 wurde es jüdischen Lehrern verboten, Privatunterricht an Nichtjuden zu erteilen. […] Ab April 1937 durften Juden an Universitäten nicht mehr den Doktortitel erwerben, im September 1937 verloren alle jüdischen Ärzte die Krankenkassenzulassung, im Juli 1938 auch die Approbation […].“ [1]

Am 7. November 1938 verübte der 17-jährige deutsch-polnische Jude Herschel Grünspan ein Schussattentat auf einen Beamten der deutschen Botschaft in Paris. Für die Nazis war dies eine willkommene Gelegenheit, um ihre Propagandamaschinerie in Gang zu setzen. Der Novemberpogrom – von den Nazis zynisch als „Reichskristallnacht“ betitelt – war keine Reaktion des „spontanen Volkszorns“ auf die Geschehnisse in Paris, sondern stellte vielmehr den Auftakt der systematischen Arisierung dar.

Rund 1.2000 Synagogen wurden ebenso wie 7.500 jüdische Geschäfte in Brand gesteckt und zerstört. Die Zahl der Todesopfer ging in die Hunderte. Der Novemberpogrom stellte „das entscheidende Bindeglied von der auf Verdrängung und Vertreibung, dann Enteignung und Vernichtung ausgerichteten Judenpolitik des NS-Regimes dar“. [2]

Im Januar 1939 drohte Hitler im Reichstag dann auch unverhohlen mit der Ausrottung des europäischen Judentums:

„Und eines möchte ich an diesem vielleicht nicht nur für uns Deutsche denkwürdigen Tag nun aussprechen. Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht… Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ [3]

Die bürokratische Tarnsprache der Nazis bezeichnete dieses Vorhaben als „Endlösung der Judenfrage“. Spätestens im Frühsommer 1941 diente dieser Begriff auch offiziell der Umschreibung für die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung. Die Durchführung des Völkermords wurde wenig später am 20. Januar 1942 beschlossen. Die „Besprechung mit anschließendem Frühstück“, wie Reinhard Heydrich in der Einladung schrieb, ist heute als „Wannseekonferenz“ bekannt.

Weniger bekannt ist hingegen das Ermächtigungsschreiben Hermann Görings, welches er am 31. Juli 1941 an Reinhard Heydrich übermittelte. Darin hieß es:

„In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24.1.39 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa. Sofern hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen. Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“ [4]

Das Ermächtigungsschreiben ist ein einfaches Blatt Papier ohne Briefkopf mit insgesamt drei Sätzen. Und doch gehört es zu den „Schlüsseldokumenten“ des 20. Jahrhunderts, denn die Radikalisierung – bis hin zur systematischen Auslöschung der europäischen Juden – war damit nicht mehr aufzuhalten. Sechs Millionen Jüdinnen und Juden sollten durch das Wüten der Nazis ihr Leben verlieren.

Text: Alexander Neunherz 
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-14468 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 

Quellen: 
[1] Benz, Wolfgang (2001): Der Holocaust. München: C. H. Beck, 23-24.
[2] N.N.: Reichskristallnacht - Novemberpogrome 1938. http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/img/Gedenktage/GO_7.3_AshkenazHouse.pdf [Zugriff: 20.10.2016].
[3] Hartog, L. J. (1989): Als Hitler den Massenmord prophezeite. Zur Rede vom 30. Januar 1939. 27.1.1989. https://www.zeit.de/1989/05/als-hitler-den-massenmord-prophezeite [Zugriff: 20.10.2016].
[4] https://de.wikisource.org/wiki/G%C3%B6ring_an_Heydrich_%C3%BCber_die_Endl%C3%B6sung_der_Judenfrage [Zugriff: 20.10.2016].